Meine ungeteilte Aufmerksamkeit

Ich weiß, das klingt jetzt vielleicht ein bisschen wie ein Oberlehrer. Aber als jemand, der vor kurzem umgestiegen ist, und für den Ästhetik wichtig ist, ist meine Meinung einfach: Servier dein Smartphone ab, benutz ein Dumbphone, und am besten das MP 01. Das mag sich erst etwas beängstigend anfühlen, und dann dauert es vielleicht einen Tag oder so, bis man sich daran gewöhnt hat – aber es lohnt sich!

In der Stadt, in der ich lebe, gibt es viel mehr Radfahrer als Autos. Das finde ich wirklich toll. Das Fahrrad ist hier das wichtigste Transportmittel. Man geht morgens aus dem Haus, steigt auf sein Fahrrad, tritt in die Pedale und radelt zu seinem Ziel. Das man in der Regel kurze Zeit später unversehrt erreicht. Es sei denn, man wird unterwegs von einem Smartphone getroffen. Ich hatte bisher sogar schon zwei unschöne Begegnungen mit einem Smartphone am Selfie-Stick, der mit der Wucht eines Tennisschlägers bei einem Wimbledon-Turnier in den Luftraum meines Radwegs eingedrungen war. In so einem Fall hilft nur ducken und das Beste hoffen.

Mein anderes Problem mit Smartphones ist, dass sie mich co-abhängig machen sollen. Dafür sind sie konzipiert. Das finde ich überhaupt nicht toll. Ich erinnere mich noch ganz genau, wie ich eines Morgens nach dem Aufwachen wissen wollte, wie das Wetter ist. Anstatt meinen Kopf aus dem Fenster zu stecken, checkte ich – tipp, tipp, tipp – einfach eine Wetter-App. So fuhr ich dann in voller Regenausrüstung mit dem Fahrrad zur Arbeit und kam fünfzehn Minuten später an als sonst. Geregnet hat es an diesem Tag nicht – kein bisschen.

Das verdeutlicht meine Smartphone-Frustration wohl in aller Kürze. Sind Smartphones praktische Hilfsmittel? Klar sind sie das. Die Kamera immer dabei, ebenso das Navi, digitalisierte Flugtickets, Apps für das Online-Banking. Alles sehr praktisch. Mir geht es mehr darum, dass der Mensch andere Menschen zu vergessen scheint, sobald sein Telefonbildschirm zum Leben erwacht. Dafür könnte ich hier zahlreiche klischeehafte Beispiele auflisten. Was ich mir spare, weil ich mir sicher bin, dass jeder von uns so etwas schon erlebt hat. Früher war der Verlust des Kontakts zu der Welt um uns herum Anzeichen einer bevorstehenden Katastrophe (zumindest für den Betroffenen). Heute scheint das gesellschaftlich akzeptiert zu sein. Das sollte vielleicht – ich sage nur vielleicht – nicht so sein.

Das war der Auslöser für meinen Umstieg auf ein weniger intelligentes Gerät. Der war weniger vom Wunsch getragen, mein Handy nicht an einem Stick befestigen und damit Leute schlagen zu wollen (das war nie mein Ding), sondern eher davon, dass ich präsenter sein und meiner Umgebung und den Menschen darin meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken wollte.

Warum das Punkt. MP 01, könnte man fragen? Die Antwort ist einfach: Ich bin ein sehr visueller Mensch. Meine Ausbildung zum Produktdesigner bedeutet für mich unter anderem, mit dem Fluch einer gesteigerten ästhetischen Wachsamkeit leben zu müssen. Die natürlich subjektiv ist – dafür aber nicht weniger real.

Das MP 01 ist einfach ein schön gestaltetes Objekt, das genau das tut, was es soll. Es sieht auch auf meinem Schreibtisch außergewöhnlich gut aus. Der Ästhet in mir: sehr zufrieden. Und alle Freunde von mir, die etwas mit Design zu tun haben, scheinen da meiner Meinung.

Der Rest glaubt, dass ich ständig einen Taschenrechner mit mir herumtrage.

Meine smartphonefreie Zeit hatte ich insgeheim für einen Zeitraum geplant, in dem ich weniger Arbeit haben und es entsprechend weniger Leute geben würde, die ständig Updates und Bilder von mir erwarteten, wenn ich unterwegs war.

Als das Punkt. MP 01 viel früher ankam als erwartet, warf ich alle Planungsvorsicht über Bord, zog schnell meine SIM-Karte aus dem Vorgängermodell und steckte sie direkt in das MP 01. So ging ich auf kalten Entzug: Ich speicherte meine wichtigsten Kontakte auf dem neuen Telefon – und verstummte.

Die eigentliche Entgiftung war weniger glamourös, als ich es mir vorgestellt hatte. Als ich in einem dieser Bitte-füll-mich-Momente das erste Mal ein Buch hervorholte anstelle eines Smartphones, da fühlte ich mich wie ein Held. In der Erwartung, dass die Lichter ausgehen, ein Scheinwerfer auf mich gerichtet und eine glänzende Medaille an meine Brust geheftet würde, hielt ich den Atem an. Ebenso bei dem ersten Anruf, den ich auf meinem gutaussehenden MP 01 bekam. Ich brauchte einige Sekunden, um den gehörten Ton mit meinem neuen Gerät in Verbindung zu bringen, aber es ist mir dann gelungen. Für den Anrufer spielt es natürlich keine Rolle, in welches Gerät man seine Antworten quatscht. Auch hier bekam ich keine Medaille angeheftet.

Wirklich bemerkt habe ich die Umstellung bei den Textnachrichten. Freunde, die keinerlei Probleme damit hatten, mir um 22:42 Uhr jede Menge Emojis zu schicken, fanden es plötzlich merkwürdig, wenn ich sie um diese Uhrzeit anrief. Wahrscheinlich, weil ich sie beim Tippen unterbrochen hatte.

Der Aufwand, den eine T9-gestützte Textnachricht erfordert, führte auch dazu, dass ich verschiedene Familienmitglieder öfter anrief und meiner Großmutter ironischerweise per Ferngespräch Ratschläge zur Fehlerbehebung für ihr Smartphone gab.

Lästige Dinger, diese Smartphones.

Während meiner einmonatigen Abstinenz begriff ich, dass einer der Hauptgründe, warum ich die Seiten gewechselt hatte, nämlich die Allgegenwart von Smartphones in meinem täglichen Leben, durch meinen Seitenwechsel nicht so recht ins Stolpern gekommen war. Meine Freunde legen ihre Smartphones immer noch neben den Teller auf dem Esstisch (mit Bildschirm nach unten, immerhin). Und die Leute im Bus erkennen meine Überlegenheit als Träger (und Leser) von Büchern immer noch nicht an (wie sollten sie auch, sie nehmen davon gar keine Notiz).

Aber ich habe bemerkt, dass eine Menge digitaler Störungen aus meinem Leben verschwunden ist, die ein smartes Gerät sonst so mit sich bringt. Es hat sich auch herausgestellt, dass ich gar nicht so abhängig bin, wie ich befürchtet hatte. Ich wechsle jetzt zwischen Smartphone und Dumbphone und kümmere mich viel weniger um jedes Zeichen, das mein Smartphone zu seiner drohenden Überflüssigkeit von sich gibt.

Weil ich jetzt entdeckt habe, dass ich darauf verzichten kann.

Und das finde ich wirklich toll.

Stefan Auberg
Amsterdam, Niederlande

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