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Erinnerst du dich an das Crackberry?

 

UM DIE wachsende Angst auszunutzen, dass wir uns schnell in Wi-Fi-fähige Cyborgs verwandeln, hat der Markt eine neue Konsumentenkategorie hervorgebracht: Produkte, die uns vom erdrückenden Griff der ständigen digitalen Erreichbarkeit befreien sollen.

Es gibt Digital-Detox-Retreats: Offline-Oasen, wo gestresste Menschen Yoga auf Wiesen machen und Briefe auf mechanischen Schreibmaschinen tippen. Es gibt sogar Badesalze – speziell formulierte Mineralien, die Körper und Geist digitaler Eingeborener reinigen sollen. Für diejenigen, denen Ironie entgeht, gibt es sogar Digital-Detox-Apps wie ShuttApp und AppDetox. Aber von all diesen Gegenmitteln zur Dystopie ist das interessanteste das Punkt MP01, ein Mobiltelefon, das nur Telefonieren und SMS bietet. Keine Apps, keine Kamera, nichts. Das Schweizer Tech-Unternehmen hinter diesem stilvollen, aber einfachen Gerät bewirbt es mit einem Slogan, der unsere eitle Sehnsucht anspricht: Offline ist der neue Luxus.

Ich wollte diesen Luxus. Besonders nachdem ich diese erschreckende Statistik gelesen hatte: Der Durchschnittsmensch verbringt 3,9 Jahre seines Lebens mit dem Starren auf einen Smartphone-Bildschirm. Dass ich das auf meinem iPhone googelte, während ich in der Genius Bar wartete, machte das Ganze noch absurder. Kurz stellte ich mir vor, mein iPhone aus Wut auf den Boden zu werfen, das Gorilla-Glas auf dem Florentiner Stein zu zerschmettern und zu schreien: „Ich bin kein Cyborg! Ich bin ein Mensch!“, während ich von Sicherheitsleuten abgeführt werde.

Stattdessen ging ich nach Hause, kontaktierte Punkt und bat um ein Testgerät des MP01. Würde dieses clevere „Dumbphone“ die erhoffte digitale Entgiftung bringen? Im Namen der Menschheit – ich probiere es aus.

Systemvoraussetzungen für den Detox

Gut für die Menschheit, dass ich T-Mobile-Kunde bin. Denn das ist der letzte große Anbieter, der noch 2G unterstützt – das altgediente Netzwerk, auf dem das MP01 läuft. Verizon- und AT&T-Kunden können das Gerät nicht im 3G-Netz nutzen. 4G? Auch nicht möglich. Das bedeutet, dass das Gerät in manchen Teilen der Welt unbrauchbar ist: zum Beispiel in Japan, Südkorea, Singapur und Australien (ab September 2017). In Kanada gibt es noch einen 2G-Anbieter – aber der stellt den Betrieb nächstes Jahr ein. Und T-Mobile unterstützt 2G nur bis 2020. Das bedeutet aber nicht das Ende für mich und meine Cyberpunk-Kollegen. Die Zentrale in Bern, Schweiz, versichert mir, dass ein neues Punkt-Modell erscheinen wird, bevor 2G endgültig verschwindet.

Tag 1

Dank der FedEx-App auf meinem iPhone stimme ich die Lieferung des Punkt genau ab. Ich bereite mich mental auf die dunklen Tage vor. Während ich das Paket öffne, werde ich von einer iPhone-Benachrichtigung unterbrochen. Ja! Eine Gnadenfrist: Mein Lieblings-Foodtruck ist in der Nähe. Tag 1 meines einwöchigen Digital Detox sollte heute beginnen – aber das muss warten, der Foodtruck ruft. Ich renne mit dem iPhone aus dem Haus und lasse das MP01 wie ein verwaistes Kind zurück. Meine Ausrede: Kein Bargeld im Haus, und das iPhone hat Apple Pay. Ich packe das Punkt nie vollständig aus. Ich fühle mich erbärmlich.

Tag 2

Meine Finger zittern, als ich die SIM-Karte aus meinem iPhone entferne und in das MP01 einlege. Ich schalte es ein – und das Telefon erwacht zum Leben. Kein Handbuch nötig. Wer Pong spielen kann, braucht für die Einrichtung keine Minute. Uhrzeit und Datum eintippen, dann einen „maßgeschneiderten Klingelton“ auswählen: Morgenfugl („Morgenlerche“ auf Norwegisch), ein unheimlich realistischer Vogelruf. Einer der Gründe, warum dieses einfache Gerät so teuer ist – die Details. Als der britische Designer Jasper Morrison auf eine edle, aber teure „Kameralack“-Oberfläche bestand, stieg das Budget. Und als der norwegische Klangkünstler Kjetil Rost Nilsen Klingeltöne entwarf, die wie Vogelstimmen klingen, wurde es noch teurer. Digital Detox für stilbewusste Menschen hat seinen Preis. Ich lade das MP01 vollständig auf – 290 Minuten Gesprächszeit, drei Wochen Standby. Leb wohl, Akkupanik. Hallo, Nomophobie. Ich blättere durchs Menü: Wecker, Kalender, Erinnerungen, Kontakte speichern. Das war’s. Im Grunde ein Nokia 6210 für Minimalisten.

Tag 3

Ich wache auf vom dumpfen Klang von Vogelgesang. Mit verkrusteten Augen krame ich das MP01 unter dem Kissen hervor und tippe auf den Bildschirm. Verdammt – Muskelgedächtnis. Ein Dumbphone-Testobjekt zu sein bedeutet, dass ich vieles verlernen muss. Beim Betrachten der eleganten Roboto-Schriftart wird mir bewusst: Die nächsten sieben Tage wird es keine Spotify-Playlists geben, kein NBA Live, keine Radiolab-Podcasts oder NYTimes-Benachrichtigungen. Ich werde zwar erreichbar sein, aber nur telefonisch oder per SMS – das war’s. Der Detox hat noch nicht richtig begonnen und ich habe bereits Entzugserscheinungen. Auf der Suche nach Trost rufe ich meine Frau an. „Warum rufst du mich an?“, fragt sie irritiert – mein 2G-Signal hat ihre digitale Blase durchbrochen. „Was ist los?“ Ich habe keine Antwort. Irgendwas stimmt nicht. Vielleicht ist die Verschmelzung von Mensch und Maschine doch unser Schicksal. Ich denke darüber nach. Die Stille irritiert meine Frau. Sie legt auf. Mir fällt auf: Wir reden nicht mehr miteinander. Nicht nur wir – alle.

Tag 4

Dieses mattschwarze Spielzeug fühlt sich in meiner Hand eher wie ein Kieselstein aus dem Flussbett an als wie Technik. Vom Design her ist es ganz Dieter Rams: Die Vorderseite erinnert an einen Taschenrechner der 90er von Braun, die Rückseite an einen Elektrorasierer der 80er. Statt bunter App-Icons auf einem Bildschirm bekommen Detox-Nutzer ein monochromes Display und beleuchtete Tasten. Wie ein Kind im Aufzug drücke ich alle Knöpfe. Das haptische Feedback ist befriedigend. Ebenso das klare „Klick“ beim Tippen – wieder ein Soundeffekt von Herrn Nilsen. Der Detox-Zauber wirkt. Ich rufe meinen Sohn an – und er geht ran. Noch erstaunlicher: Die Sprachqualität über Lautsprecher ist überraschend gut. Denn im Gegensatz zu den meisten Smartphones ist die Rückseite des MP01 nicht flach – sie hat einen Neigungswinkel von acht Grad. Diese feine Schräge hebt den Lautsprecher leicht an und reflektiert die Schallwellen. „Hallo mein Junge. Ich wollte nur Hallo sagen.“ Er klingt misstrauisch – als würde er vermuten, dass ein Algorithmus spricht und nicht sein Vater. „Warum hast du mir nicht einfach geschrieben?“ Diese Frage wird zum Dauerthema.

Tag 5

Ich habe bisher nur auf ein paar SMS geantwortet. Kein Wunder – denn das SMS-System nutzt T9 (Text auf 9 Tasten). Auf Jasper Morrisons wunderschöner, aber veralteter 3x4-Tastatur erkenne ich: Texten ist Teil des Problems. Es fördert eine Gehirnplastizität, die uns näher an die Cyborg-Welt bringt. Erschüttert von dieser Erkenntnis suche ich Zuflucht in einem Diner. Ich brauche Menschen – keine Technologie. Als der Kellner die Rechnung bringt, sieht er das MP01. Wie eigentlich jeder. „Schöner Taschenrechner“, sagt er. Als ich erkläre, dass es sich um ein Digital-Detox-Handy handelt, bekommt es eine fast mystische Ausstrahlung. Ich reiche es ihm – er drückt einen Knopf und das Display leuchtet. „Wow!“, ruft er. Als ich erzähle, dass es 300 Dollar kostet, zuckt er nicht mal. Vielleicht ist doch nicht alles verloren.

Tag 6

Es gibt eine Punkt-Community. Und die besteht nicht nur aus Technikverweigerern, Esoterikern und Dwell-Abonnenten. Das MP01 wird von Eva Herzigova und Billy Zane benutzt. Auch in der Musikszene: Rapper Professor Green, Beatboxer Reggie Watts, Pianist James Rhodes. Der NYU-Psychologe Adam Alter sagt: „Es ist eher ein Mode-Statement als Technik. Und wie Handys vor der Smartphone-Ära steht es nicht zwischen dir und der echten Welt.“ Mein Redakteur interessiert das wenig. Er nennt das Punkt „ein Handgerät für Selbstgefällige“. Als ich ihm die Story pitchte, sagte er: „Netter Gag.“ Für ihn zählt nur Reichweite und Klicks. Mal sehen, wer zuletzt lacht – wenn ich am Strand Haikus schreibe und er Watson-Artikel mit RedPencil bearbeitet.

Tag 7

Am Ende der Detox-Woche bin ich verändert. Ein bisschen. Ich bin kein Thoreau, aber auch kein Inspector Gadget mehr. Meine Frau sagt, meine Haltung sei besser, ich sei aufmerksamer beim Abendessen. Auch mein Schlaf hat sich verbessert – vielleicht weil ich abends echte Bücher lese statt News-Apps. Ich nehme wieder Dinge wahr: das Lachen von Kindern, das Licht auf Häuserfassaden im Abendrot.

Würde ich mein iPhone gegen das Punkt eintauschen? Auf keinen Fall. Steve Jobs hatte recht – Smartphones sind die ultimativen Geräte. Ihre Superkräfte sind unbestritten. Aber das MP01 ist kein Gimmick. Es ist ein kluges Dumbphone. Es beseitigt Ablenkung und erhöht die Konzentration. Vor allem aber fördert es menschliche Interaktion – nicht nur Telefonate, sondern echten Kontakt. Ohne GPS ging ich während des Detox verloren – ich fragte einen Polizisten nach dem Weg. Und wir redeten über Polizeihunde. Das Punkt offenbart auch Geheimnisse: Wusstest du, dass man Uber ohne App bestellen kann? Es gibt tatsächlich eine Webseite dafür.

Skeptiker sollten Punkt auf seine 30-Tage-Rückgabegarantie testen. Kein Risiko. Einfach mal am Wochenende nutzen. Wenn du kein digitales Zittern bekommst, nimm es mit in den Urlaub. Es verändert nicht dein Leben – aber es macht dich vielleicht ein Stück menschlicher.

Rene Chun