Zum Inhalt springen

Warenkorb

Dein Warenkorb ist leer

Was passiert, wenn ein erwachsener Mann am Wochenende auf Instagram verzichtet

Ein Punkt-Telefon vor einem diagonal geteilten blauen und grünen Hintergrund, das eine saubere und lebendige minimalistische Ästhetik zeigt.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich süchtig nach meinem Handy bin.

OK, wenn man alle Süchte auf einer Skala von Intensität und Schädlichkeit einordnet – von Freebase-Kokain (sehr süchtig machend, extrem schädlich) bis hin zu HBO-Serien (sehr süchtig machend, aber kaum schädlich) – wirkt mein Smartphone-Problem ziemlich trivial. Natürlich erfordert es keine Entgiftung, keine Reha, keine Gruppentherapie. Aber das bedeutet nicht, dass die Sucht nicht real ist.

Zum Beispiel: Fühle ich ein vages Gefühl von Verlust und Panik ohne mein iPhone? Absolut. Vernachlässige ich manchmal wichtige Dinge wie Konferenzgespräche oder Gespräche mit meinem Partner, weil ich Online-Scrabble spiele? Leider ja. Aber am meisten beunruhigt mich der Gedanke, dass ich mich in der Nähe meines iPhones am wohlsten fühle, dass mein echtes Leben jetzt nur noch zwischen Bildschirmen stattfindet – und dass sich das auf mein Gehirn, meine Beziehungen und vielleicht sogar mein Selbstwertgefühl auswirkt? Ähm, ja.

Und das ist umso beunruhigender, da ich als regelmäßiger Meditierender versuche, präsenter im Leben zu sein. Wenn man „Achtsamkeit“ definieren wollte, dann wohl als das vollständige Aufgehen in dem, was man gerade tut oder fühlt. Mit dem Handy gegen Langeweile oder Unbehagen anzukämpfen, ist genau das Gegenteil – eine Form der Flucht aus dem Moment, eine Art bewusster Gedankenlosigkeit. Ich glaube wirklich, dass die reichsten Erfahrungen nicht auf Bildschirmen stattfinden, dass mein iPhone – bei all seinen magischen Eigenschaften – keine Erinnerungen oder Ideen erzeugt wie Reisen, Freundschaften oder Gespräche es tun. Wenn meine Zeit begrenzt ist, sollte ich sie dann nicht bewusster einteilen?

Was ist mit meinem Scrabble-Spiel? Und Instagram? Ich muss da jetzt einfach durch.

Vielleicht denkst du gerade dasselbe. Aber man braucht doch trotzdem ein Telefon, oder? Wenn man sich über die Ironie hinwegsetzen kann, Technologie zur Lösung eines Technologieproblems zu nutzen, dann hat das Schweizer Designunternehmen Punkt vielleicht die Antwort. Sie haben eine Reihe von Produkten entwickelt, mit denen wir Technik nutzen können, ohne von ihr beherrscht zu werden. Dinge wie ein Wecker (damit du dein Smartphone beim Zubettgehen unten lassen kannst), ein Festnetztelefon und ein abgespecktes Mobiltelefon: das MP01.

Petter Neby, Gründer von Punkt (das Wort bedeutet Punkt im Sinne von Satzzeichen im Deutschen), erzählt, dass die Inspiration für das Handy von seiner Stieftochter kam. „Sie klagte über Schlaflosigkeit“, sagt er, „also mussten wir über das Gerät auf ihrem Nachttisch sprechen. Aber in solchen Situationen muss man auch bei sich selbst anfangen – und obwohl ich es nicht am Tisch oder im Bett hatte, war ich doch sehr auf meine E-Mails fixiert.“ Als Unternehmer war Nebys Lösung nicht, das Telefon zu konfiszieren, sondern ein neues Produkt zu entwickeln.

Ich probiere das MP01 für ein Wochenende aus. Es ist klein und leicht, mit einem hellen LED-Bildschirm und runden Kunststofftasten. Es kann ungefähr das, was ein Nokia 6210 konnte – minus Snake. Also: Anrufe und SMS, Telefonbuch, Uhr, Kalender und Notizfunktion. Es gibt keine Kamera und keine Internetverbindung. Das heißt: keine Apps, kein Surfen, kein Video. Gulp.

Auch wenn es nur ein paar Tage sind, habe ich doch Bammel vor dem Umstieg. Ich lade das Gerät auf (einmal – der Akku hält drei Wochen), setze meine SIM-Karte ein. Der MP01 startet mit Vogelgezwitscher. Mein erster Gedanke ist ein Gefühl der Trauer. Was ist mit Scrabble? Und Instagram? Ich muss da jetzt einfach durch.

Das Überraschendste ist vielleicht, wie wenig ich mein iPhone vermisse.

Ich benutze auf meinem iPhone normalerweise drei soziale Apps (Instagram, Snapchat, Twitter), dazu E-Mail und Headspace. Ich habe auch erst nach Google Maps das Autofahren gelernt und bin ohne sofort verloren. Als ich das Neby sage, lacht er: „Sich zu verlaufen ist gut, Mann.“

Das Handy liegt gut in der Hand, es hat kleine Vertiefungen auf der Rückseite (entworfen von Jasper Morrison). Auch die Verpackung ist durchdacht – das Handbuch erinnert an eine Monocle-Sonderausgabe. All das – das Design, die Typografie – soll vermitteln: Du kaufst kein schlechter ausgestattetes Telefon, weil du dir nichts anderes leisten kannst, sondern weil du dich bewusst dafür entscheidest. Es erinnert mich an Paleo-Ernährung oder CrossFit – man kann dabei richtig leidenschaftlich werden.

Ich übertrage die wichtigsten Nummern auf das MP01 und starte ins Wochenende. Ich erlebe die üblichen Entzugserscheinungen, das Phantomgefühl – in die Tasche greifen und nichts finden. Zum Glück vergeht das ziemlich schnell.

Was mir am meisten fehlt, ist das Messaging. Ich stehe ständig mit Freunden, Partner, Familie über Textnachrichten in Kontakt. Wie wir alle bin ich ein virtuoser Texter mit GIFs, Emojis und Bildern. Mit dem MP01 geht das alles nicht. Keine Bilder, kein Multimedia, kein Thread – jede Nachricht erscheint einzeln. Das fühlt sich an, als wolle man mit einem Mundschutz reden.

Aber trotzdem: Das Überraschendste ist wirklich, wie wenig ich mein iPhone vermisse. Natürlich checke ich zu Hause meine Mails am Laptop – wie ein Veganer, der heimlich noch Speck isst. Aber ich spüre einen enormen Raumgewinn. Wenn ich auf etwas warte, habe ich nichts zum Draufstarren – also schaue ich einfach nach oben. Ich sehe den Himmel, den Abend, die Welt. All das ist nicht so spannend wie Instagram, aber es ist real. Und gesund. Es fühlt sich tugendhaft an – wie die ersten Tage nach dem Rauchstopp: man verzichtet auf etwas, das tröstlich, aber nicht gut ist.

Es ist auch schön zu wissen, dass ich quasi „off the grid“ bin. Das Telefon pingt zwar Mobilfunkmasten, aber ohne GPS bleibt mein Standort unbekannt. Wenn ich es ausschalte, ist es wirklich aus.

Aber was ist mit der Erreichbarkeit? Werde ich etwas verpassen?

Wahrscheinlich ist das der Kern des Ganzen. Unsere Smartphones bieten uns eine endlose Ablenkung – eine technische Lösung für existenzielle Fragen. Warum fühle ich mich schlecht, wenn ich nichts zu tun habe? Was ist das für ein inneres Kratzen, das ich mit dem Handy beruhigen will? Smartphones verdecken diese Fragen – beantworten sie aber nicht. Wenn wir wirklich im Moment leben wollen, müssen wir vielleicht lernen, Unbehagen einfach auszuhalten. Auch – oder gerade dann – wenn es sich unangenehm anfühlt.

Mit dem MP01 fühle ich mich dem ein Stück näher. Ich denke tatsächlich über einen dauerhaften Umstieg nach. Nur noch eine letzte Runde Online-Scrabble …

William Fowler, Creative Director Headspace